Alpine V6 GT - & Turbo
Das Auto ist so flach, bei seinem Angesicht könnte der Begriff „Flunder“ erfunden worden sein. Gleichzeitig wirkt der Renner so sehnig, so drahtig, so energiegeladen und doch so sinnlich schön, dass spontan klar wird, was Sportwagen mit Erotik verbindet: Eine Renault Alpine V6 ist purer Sex.
In den Augen vieler Ästheten verkörpert die dritte Generation der legendären Sportwagen-Baureihe aus Frankreich, hervorgegangen aus den Werkstätten des ruhmreichen Konstrukteurs Jean Rédélé in Dieppe, dabei die reinste und klarste Lehre. Die zierliche Alpine A110 – Urahn und verehrte Rallye-Ikone zugleich – begeisterte als Biest auf Rädern und war das Spaßmobil für Spezialisten. Ihre spätere Nachfolgerin, die 1971 vorgestellte und zunächst parallel gebaute A310, markierte den Wechsel ins ernste Fach: Erstmals bot das Heckmotor-Coupé als 2+2-Sitzer auch kleine Notsitze an, neben Vierzylindern stand ab 1976 auch ein V6-Motor mit 150 PS zur Wahl.
Doch 1984 läutete Renault eine neue Ära ein. Bereits 1973 hatte das Unternehmen die Mehrheit an der kleinen Sportwagen-Manufaktur in der Bretagne übernommen, seit 1978 befand sie sich ganz im Besitz des Großserienherstellers. Und jetzt war die Zeit gekommen für ein neues Modell: die Alpine V6 GT und V6 Turbo, intern auch „GTA“ genannt.
Ihr aufregendes Design, die betörenden Proportionen und die schnörkellose Klarheit ihrer anmutigen Karosserie – die natürlich wieder aus leichtem Polyester bestand – entstammten der Feder von Robert Opron, der sich bereits als Schöpfer des einzigartigen Citroën SM in den Annalen der Automobilgeschichte verewigt hatte. Das durchgehende Scheinwerfer-Glasband der Vorgängerin war einer veritablen Sportwagen-Front gewichen, der von 2.270 auf 2.340 Millimeter gewachsene Radstand bot etwas mehr Platz für die Kinder auf der Rückbank. Überhaupt gelang dem ergonomisch aufgeräumten Cockpit ein schwieriger Spagat: Einerseits wirkte es mit seiner modernen Funktionalität wie endlich erwachsen geworden. Andererseits versprühte das Interieur mit den rot hinterleuchteten Instrumenten, dem fast schon intimen Klammergriff der Sportsitze und dem behaglichen Ambiente eine inspirierende Laszivität. Fahren als Leidenschaft.
Denn auch in puncto Temperament ging es jetzt richtig voran. Zwei Varianten standen zunächst zur Wahl: Die Renault Alpine A310 als V6 GT mit 2,7 Liter großem V6-Saugmotor leistete nun 160 PS. Damit nicht genug. Fortan sorgte auch ein turboaufgeladener 2,5-Liter-Sechszylinder für Fahrleistungen, die der aufregenden Optik des reinrassigen Sportwagens mehr als gerecht wurden. Mit 200 PS touchierte der Hecktriebler erstmals die 250-km/h-Schallmauer, die Katalysator-Version mit 185 PS brachte es immer noch auf Tempo 238.
Und Renault legte noch einmal nach. 1991 erschien mit der Alpine A610 die letzte Eskalationsstufe dieser französischen Flunder, von außen leicht an den neuen Klappscheinwerfern zu erkennen. Deren nunmehr 3,0 Liter großer Aluminium-Turbomotor blies mit 250 PS zum Angriff und ermöglichte wahrlich atemraubende Beschleunigungs-Orgien – gerade mal 5,7 Sekunden vergingen zum Beispiel für den Standardsprint auf Tempo 100. Auf der Autobahn teilte der Keil die Luft mit bis zu 265 km/h.
Mit der Renault Alpine A610 hatte die Sportwagen-Legende ihren höchsten Reifegrad erreicht. Sie war schön und schnell zugleich, auf der Rennstrecke daheim, dank größerem Fahrwerks- und Geräuschkomfort, serienmäßiger Klimaanlage und ABS aber auch für längere Autobahnetappen geeignet. 820 Exemplare liefen bis 1995 in Dieppe vom Band. Heute sind sie gesuchte Sammlerstücke.
(Renault (D) Stand 11/2010, Irrtümer vorbehalten)